Franz Lehár, Friederike – Singspiel in 3 Akten
Künstler: Kristiane Kaiser, Sylvia Schwartz, Klaus Florian Vogt, Daniel Behle, Münchner Rundfunkorchester, Ulf Schirmer
2 Musik-CDs, DDD, Spielzeit 106 Minuten.
Artikelnummer: LFD
Kategorie: Studentenlieder
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Ich habe nichts gegen Franz Lehár – im Gegenteil. Ich liebe seine Melodik, höre sie gerne und verheimliche nicht die gelegentliche Rührung, die sie in mir auslöst. Ich halte ihn für eine
Koryphäe, einen Großmeister seines Faches. Aber eines kann man ihm nicht absprechen: dass er fast immer auf der Grenze zum Kirsch balanciert.
Das ist freilich ein Vorwurf, der die gesamte „silberne“ Operettenära trifft, also die Epoche von der Jahrhundertwende bis zum Zweiten Weltkrieg. Sie bot eben Unterhaltung nach dem Geschmack der
Zeit, eine Melange aus Herz mit Schmerz, und erhob keinen darüber hinaus gehenden Anspruch. Die Könnerschaft ihrer führenden Protagonisten steht allerdings außer Frage, seien es Texter,
Komponisten oder Interpreten.
Lehár (1870–1948; die Betonung liegt auf der ersten Silbe – der Strich über dem á ist kein Akzent, sondern ein Dehnungszeichen) kommt aus der österreichischen Militärmusiktradition. Als Sohn
eines Militärkapellmeisters kam er im ungarischen Komorn an der Donau zur Welt, und zwar im nördlichen Stadtteil, der heute zur Slowakei gehört. Seine musikalische Ausbildung erhielt er am Prager
Konservatorium, wurde zuerst Geiger und dann selbst Kapellmeister in der k.u.k-Armee, wo er seinem Vater nachfolgte. In dieser Funktion schrieb er Märsche und Lieder, dann aber wandte er sich der
Bühne zu, blieb mit Opernversuchen erfolglos und reüssierte schließlich mit Operetten. Schon der „Rastelbinder“ machte ihn 1902 überregional bekannt, dann gelang ihm mit der „Lustigen Witwe“ 1905
ein Welterfolg, dem noch vor dem Ersten Weltkrieg „Der Graf von Luxemburg“ und die „Zigeunerliebe“ folgten. In den Zwanzigerjahren lieferte er mit der „Tangokönigin“, „Frasquita“, „Paganini“ und
dem „Zarewitsch“ die Erfolge Schlag auf Schlag. Mit dem Tenor Richard Tauber (1891–1948), einem der bedeutendsten Sänger seiner Epoche, fand er einen kongenialen Interpreten, dem er die Partien
auf den Leib schrieb; jede seiner Operetten beinhaltet ein oder gar zwei sogenannte Tauberlieder, also dramaturgisch selbständige Bravourstücke, die bis heute Lehárs melodische Brillanz am besten
repräsentieren.
Zum Dritten im Bunde wurde der satirische Lyriker, Schlagertexter und Kabarettist Fritz Löhner-Beda (1883–1943), als Bedrˇich Löwy in einer jüdischen Familie in Mähren geboren, aber in Wien
aufgewachsen, der seit seinem Jurastudium der Wiener jüdischen Verbindung Kadimah angehörte und dort ein angesehener alter Herr war. Er starb nach jahrelangem KZ-Aufenthalt als Autor des
Buchenwaldliedes und des Bunaliedes unter entsetzlichen Bedingungen in Monowitz, einem Nebenlager von Auschwitz.
Lehár hatte schon 1916 mit dem „Sterngucker“ ein Libretto Löhner-Bedas vertont und damit einen Misserfolg gelandet, seither ging er ihm aus dem Weg. Erst 1928 kam es mit der „Friederike“ zu einem
neuen Versuch, der zum Erfolg geriet und dem mit „Das Land des Lächelns“, „Schön ist die Welt“ und „Giuditta“ – vom Komponisten als Oper empfunden und auch an der Wiener Staatsoper uraufgeführt –
die letzte große Serie der Lehár-Operetten folgte.
Für den Studentenhistoriker ist es ein rührender Zufall, dass diese großartige Serie mit einer Studentenoperette beginnt, denn eine solche ist die „Friederike“, weil Studenten ihren personellen
Rahmen bilden. Das Zustandekommen dieses Werkes ist dem zweiten Librettisten, Ludwig Herzer (1872–1939), zu danken. Er hatte die Idee, eine Operette über Johann Wolfgang von Goethe zu schreiben,
was zu jener Zeit durchaus noch als Sakrileg galt. Als Vorlage diente ihm die von Goethe selbst überlieferte Liebelei mit der Pfarrerstochter Friederike Brion (wahrscheinlich 1752–1813) im
elsässischen Sessenheim (bei Goethe Sesenheim) während seiner Straßburger Studienzeit 1771. Die leidenschaftliche Beziehung blieb kurz und folgenlos; Goethe hat sich nach eigenem Bekenntnis nicht
sehr nobel verhalten und die Zurückgelassene ist nie mehr eine Bindung mit einem Mann eingegangen.
Herzer und Löhner arbeiteten mit fieberhafter Begeisterung an diesem Stoff und gingen dann mit dem fertigen Buch zu Lehár in seine Bad Ischler Villa, um ihn dafür zu gewinnen. Dieser verhielt
sich anfangs sehr reserviert, soll aber nach dem Vortrag des ersten Aktes so begeistert gewesen sein, dass er sich sofort ans Klavier setzte. Am 4. Oktober 1928 gewann die Premiere am Berliner
Metropoltheater mit Richard Tauber und Käthe Dorsch die jubelnde Gunst des Publikums.
Neben dem Jurastudenten Goethe und seinem Fachkollegen Georg Engelbach treten noch die Mediziner Jung-Stilling (1740–1817), Friedrich Weyland (1750–1785) und John Meier sowie die Theologen Jakob
Michael Reinhold Lenz (1751–1792) und Franz Christian Lerse (1749–1800) auf – alle historische Personen, die in Straßburg die sogenannte Tischgesellschaft um den Juristen und Philosophen
Johann Daniel Salzmann (1722–1812) bildeten, der später auch Herder angehörte und die den Beginn des Sturm und Drang markiert; wir können darüber im zweiten Band von „Dichtung und Wahrheit“
nachlesen. Lenz warb später selbst vergeblich um die anmutige Friederike und widmete ihr schmachtende Verse; in der Operette wird er von einem Tenorbuffo dargestellt, während die anderen
Kommilitonen Sprechrollen sind. Nicht ganz klar bleibt die Person „Georg“ Engelbach; es handelt sich wahrscheinlich um Johann Conrad Engelbach (1735–1775), der als Mitbewohner und Tischgenosse
Goethes in Straßburg belegt ist. Mit John Meier dürfte Johannes Meyer gemeint sein, ein aus Wien stammender Mediziner, der in der Tischgesellschaft unter dem Namen Waldberg auftrat.
Goethes Liebesbeziehung zu Friederike brachte auch sieben Gedichte hervor, die als „Sesenheimer Lieder“ eine Einheit bilden; das letzte davon ist das berühmte „Heideröslein“. Auch das „Mayfest“
gehört dazu mit dem Eingangsvers „Wie herrlich leuchtet mir die Natur“, dessen sechste Strophe in der Bearbeitung Löhner-Bedas zum Tauberlied wurde: „O Mädchen, mein Mädchen, wie lieb ich dich!“.
Nicht weniger als fünf Mal musste es der Sänger bei der Uraufführung wiederholen.
Im Programmheft dieser ersten Premiere wurde damals betont, man merke gar nicht, wo Goethe aufhört und Löhner-Beda beginnt. Tatsächlich hat er nur diese eine Zeile von Goethes Gedicht übernommen
und dabei nur ein einziges Wort verändert (wie blinkt dein Auge / wie leuchtet dein Auge), sich aber bei den selbst gedichteten Folgestrophen ganz an Goethes Duktus und Metrum gehalten.
Auch das Heideröslein kommt in der „Friederike“ in einer lehárschen Weise vor, und im ersten Akt erklingt ein Studentenchor, der mit den Versen „Mit Mädchen sich vertragen, mit Männern sich
geschlagen“ beginnt, also auf Goethes Lied aus dem Singspiel „Claudine von Villa Bella“ zurückgreift, das nach einer Volksweise und mit vielen Zusatzstrophen auch in die Kommersbücher Eingang
gefunden hat, von Goethe allerdings erst 1775, also nach der Straßburger Zeit, gedichtet wurde.
Die Dramaturgie von Lehárs Operette folgt jener, die für fast alle seine großen Operetten typisch ist: Sie verzichtet auf ein Happy End. In diesem Fall entspricht das auch dem historischen
Geschehen, wenngleich der dritte Akt mit dem tragischen Abschied eher an „Alt-Heidelberg“ erinnert. Aber zumindest eine Begegnung zwischen Goethe und Friederike hat es nach der kurzfristigen
Affäre wirklich gegeben, genügend Futter also für eine sentimentale Schlussszene.
Man mag schmunzeln über das Rührstück, seine musikalische Qualität hingegen ist kaum bestreitbar. Und mit Friederikes anklagender Frage „Warum hast du mich wachgeküßt“ hat der Meister der
melodischen Schönheit auch eine nachvollziehbare psychologische Grundlage gegeben.
aus: SK 4/2021